Mixed Media I 10 cm x 10 cm x 10 cm I 2021
Von Sebastian C. Strenger
Die für ihre narrative Malerei bekannte und unter ihrem Künstlernamen gross gewordene Anne von Westphalen erhielt zuletzt durch die Jury-Auswahl des renommierten Strabag-Preises grössere Bekanntheit. Von Westphalen absolvierte mit zwanzig Jahren ihr Vorstudium an der Kunstschule Rostock, bevor die heute 32-jährige Künstlerin ihr Studium 2009 an der Universität der Künste bei Prof. Pia Fries aufnahm. Im Jahr 2015 erhielt sie dort den Abschluss als Meisterschülerin bei Prof. Gregory Cumins und entwickelte fortan ihre Malerei. Seither war sie in zahlreichen Ausstellungen zu sehen. Unser Autor Sebastian C. Strenger nutzte während eines Atelierbesuchs die Gelegenheit für ein Gespräch zum Status quo ihrer Malerei.
Bist du eigentlich Malerin oder arbeitest du auch bildhauerisch?
In meiner Zeit an der Akademie wurde ich durch Pia Fries betreut, die mich in meinen Anfängen zu experimenteller Installation ermunterte. Daraus entstanden Projekte mit raumgreifenden Installationen, bei denen ich Textilfäden den Raum beherrschen liess. Später gab es dann eine Phase experimenteller Kreise, die ich gemalt habe und von denen ich jetzt auch weg bin.
Man kennt dich vor allem durch deine narrative Malerei. Wie kam es dazu?
Seit zwei, drei Jahren gehe ich konzeptuell anders vor. Mein Ausgangspunkt ist dabei ein erdachtes Haus. Jedes der dortigen Zimmer nutze ich als Raum für eine andere Kulisse. Die Geschichten hierzu schreibe ich vorab auf. Und innerhalb der Geschichten friere ich dann einen Moment ein, um diesen künstlerisch als Motiv auf der Leinwand zu verarbeiten.
Das hört sich nach Film mit einem Storyboard an. Wie findet das seine genauere Umsetzung?
Zunächst werde ich doch als Bildhauerin tätig. Ich baue Modelle von jedem dieser Räume, mache Zeichnungen, und dabei ist mir oft der Einsatz von Licht und von den richtigen Lichtverhältnissen auf die im Raum abgebildete Kulisse sehr wichtig. Übrigens sind die Modelle und Zeichnungen zunächst nur meine
Hilfsmittel, werden aber, nachdem ich mein Gemälde hierzu fertiggestellt habe, anschliessend zu eigenständigen Kunstwerken. Die Modelle werden zur Skulptur.
Und das Drehbuch für deine Malerei; wie kommt das zustande?
Ein Sammelsurium aus ganz unterschiedlichen Eindrücken, Erlebnissen, Filmen und Serien, aber auch aus meinem Traumtagebuch. Letztlich allesamt verarbeitete Eindrücke, die in eine Geschichte münden. Mit der Protagonistin, die durch die Räume geht. Es ist wie die Kamerafahrt beim Film mit ab und an eingefrorenen Momenten beim Setting, also meine ganz eigenen Filmstills. Und dabei kann auch schon mal eine zum Mensch gewordene Pflanze am Tisch Platz nehmen (Abb.). Meine Malerei ist collagenhaft. Aber in meinem malerischen OEuvre gibt es auch noch einen zweiten Strang.
Eben. Nun kennt man dich auch durch deine Adaptionen von alten Meistern. Was hat es damit auf sich?
Der Schubser kam durch einen Kurs an der Uni. Der Kurs damals hiess: Kunst aus restauratorischer
Sicht. Schlüsselmoment dort war die Bildanalyse, bei der der Kopf eines Mannes rausstach. Die Restauratorin führte damals den Nachweis, dass das Gesicht einer brachialen Figur bereits eine Generation nachher restauriert wurde und stilistisch verfremdet oder korrigiert wurde und dann über die Jahrhunderte noch weitere Male, was bei Restaurierungen alter Meister häufig der Fall ist. Also wir sehen heute bei diesen alten Gemälden oft den Zustand, der das Bild mit der Mode oder einem anderen Stil gehen liess. Der Bildursprung hat sich meist verändert.
Und?
Mein Ausgangspunkt für meine Bilder! Denn jede Generation hat ihren eigenen Blick.
Wie würdest du den Weg zu deinen Bildfindungen dieser Malerei beschreiben?
Mir ging es um eine Überspitzung des Sujets. Bei einem Bild von Jan Vermeer hat die «Die Spitzenklöpplerin
» bei mir einen Kopfhörer auf, vor ihr liegt ein Smartphone. Es ist vor ein paar Jahren entstanden. Wie zuvor bei den Restaurierungen alter Meister erwähnt, würde ich das Bild heute auch anders malen. Beispielsweise hätten die Kopfhörer heute keine Kabel mehr. Und hätte ich die Vermeer-Adaption bereits vor 30 Jahren gemalt, hätte da vielleicht anstelle des Smartphones ein Walkman gelegen. Und so geht es eben immer weiter. Beim Magritte-Bild sind es Plattenbauten bzw. aktuelle Hochhausbauten (Abb.), die «Das Schloss in den Pyrenäen » ersetzt haben. Und so gibt es noch zahlreiche andere Adaptionen, die ich in eigene Bildfindungen überführt habe.
Courbet, Magritte, Arnold Böcklin oder Caspar David Friedrich – alles grosse Namen. Aber jeder malt doch grundverschieden ...
Das war eben vor allem auch ein Grossteil der Herausforderung. Der war mir allerdings vorher gar nicht so bewusst. Vor allem dann, wenn die Lust für eine neue Adaption am grössten ist, gehe ich ins Museum. Zuletzt habe ich da viel Zeit für ein Stillleben in der Alten Nationalgalerie verbracht.
Warum?
Damit meine Bilder als Adaptionen funktionieren, muss ich nicht nur die Authentifizierung unserer Zeit durch z. B. Attribute hinbekommen, sondern auch die Malweise des Künstlers beherrschen. Es geht immer darum: Würde dieses Bild heute von diesem Maler gemalt werden, würde es so aussehen, wie ich es zeige.
In der Herangehensweise gleicht das aber auch dem Vorgehen eines Fälschers ...
Ja. Ein solcher Prozess ist aber dennoch unglaublich aufwendig. Duktus, Farbauftrag, Pinselführung, Pastosität, Komposition und vieles mehr muss man für jede einzelne Position erst einmal studieren. Bis Magrittes Wolken auf meinen Bild dem Original glichen, waren drei Monate vergangen.
Und mischt sich nicht manchmal auch subtil Kritik mit ins Sujet?
Das überlasse ich dem Betrachter. Bei meinem altmeisterlichen Stillleben nach De Helm hat der Hummer auf dem Tablett jedenfalls seine Stanzprägung, die Zitronen ein kaum sichtbares rotes Netz wie aus dem Supermarkt, Stoffe bekamen Etiketten, Verpackungsmaterial und das Emblem «Made in» waren ein paar der von mir vorgenommenen kleinen Eingriffe, um es zeitgenössischer zu machen. Wie die Veränderungen der Zeit zu bewerten sind, muss letztlich jeder selbst entscheiden. Jedenfalls schaffe ich durch meine authentische Wiedergabe die Voraussetzung dafür, und ist ja schon mal etwas.
Vielen Dank für das Gespräch.